Seit Mai 2020 ist Britta Walthelm unsere Referentin für Umwelt und Gesundheit in Nürnberg. Im Interview blickt sie auf die ersten Monate ihrer Amtszeit und ihren Start mitten in die Pandemie.
Britta, du bist seit Mai 2020 Leiterin des Gesundheits -und Umweltreferates der Stadt Nürnberg – Fühltest du dich coronabedingt ins „kalte Wasser geschmissen“?
Na ja, das Wasser war gar nicht so kalt…(lacht)……Aber Nein, Politik kommt eben manchmal anders als man denkt. Es gab zum Beginn der Corona-Pandemie nur Excel, aber keine adäquate Software für das Pandemiemanagement mit so hohen Fallzahlen. Aber wir konnten in einer engen Kooperation mit der TU Nürnberg die Software COVID-PIS entwickeln. Eine datenbankbasierte Software zur Erfassung und Weiterleitung des Infektionsgeschehens und vor allem für die Kontaktnachverfolgung. Diese Entwicklung war ein großer Erfolg und gab uns die Möglichkeit, das Pandemiegeschehen in Nürnberg einzuordnen und entsprechend zu agieren. Nach wie vor werden ständig aktualisierte Daten von Ärzten und unseren Contact Tracing Teams ins System gepflegt. Mittlerweile hat der Bund SORMAS entwickelt, ein deutschlandweiter Standard für den Datenaustausch. Der Wechsel auf die neue Software ist im „laufenden Corona-Betrieb“ jedoch nicht einfach.
Bei meinem Amtsantritt im Mai dachte ich übrigens noch, das Schlimmste sei erst einmal vorbei. Zu Vergleich: in der ersten Welle hatten wir am Höhepunkt ca. 30 neue Fälle am Tag, im Herbst 2020 war es dann mehr als das Zehnfache. Wir haben dann in kürzester Zeit unseren gesamten Prozess der Kontaktnachverfolgung auf einen „Fließbandbetrieb“ umgestellt, der jetzt sehr gut läuft.
Wie kommen eigentlich die Zahlen des RKI zustande? Die Labore schicken Ihre Testergebnisse per Meldesoftware des Bundes und teils noch per Fax(!) an die Stadt. Diese pflegt die Meldungen in die Meldesoftware ein und leitet die Datensätze weiter an das LGL (Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit). Das LGL arbeitet jeden Tag 12 Stunden an der Überprüfung der Datensätze aus ganz Bayern, und leitet die Zahlen an das RKI (Robert-Koch-Institut) weiter. Das RKI plausibilisiert die Zahlen noch einmal und veröffentlicht dann seinen Wert. Da die Daten nicht tagesaktuell sind, ergibt dies jeweils einen Trend, die Entwicklung wird also quasi zeitverzögert dargestellt und die Inzidenzwerte können schwanken, wenn es Nachmeldungen gibt.
Gleichzeitig werden politische Maßnahmen an den tagesaktuellen Meldungen der Inzidenzwerte festgemacht, wie bei der jüngst durch den Verwaltungsgerichtshof gekippten 15-km-Regel. Wir hatten da ja an zwei Tagen Probleme mit unserer Meldung aufgrund eines Softwarefehlers. Unser externer Dienstleister, der die Software betreut, hat dies dann behoben. Aber es dauerte dann noch einmal drei Tage, bis die Nachmeldung sich in der Inzidenzmeldung des RKI niederschlug.
Das Einzige, was hier wirklich hilft, ist der zügige Ausbau der Digitalisierung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes“.
War Deutschland auf die Pandemie zu schlecht vorbereitet?
Es gab den nationalen Pandemieplan; Deutschland war aber in keiner Weise auf solch hohe Fallzahlen wie bei Corona vorbereitet war. Das Einzige, was hier wirklich hilft, ist der zügige Ausbau der Digitalisierung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes“.
Zurück zur Stadt Nürnberg: Wie werden die Maßnahmen koordiniert?
Es existiert eine Steuerungsgruppe, die sich mehrmals wöchentlich trifft, entweder als gesamte Gruppe oder in Teilbereichen: Sie besteht aus dem Gesundheitsamt, der Spitze der Verwaltung, der integrierten Leitstelle, der Feuerwehr, dem Klinikum Nürnberg sowie Virologen und zahlreichen weiteren Experten. Die operative Leitung hat auf Grund des Katastrophen-schutzes die Feuerwehr. Dies Zusammenarbeit aller Beteiligten funktioniert in Nürnberg übrigens hervorragend. Zum Beispiel wurden jeweils innerhalb einer Woche und kurz hintereinander ein Impfzentrum in der Messe und ein Kontaktnachverfolgungszentrum in der Meistersingerhalle aus dem Boden gestampft.
Rächt sich nun, dass die Gesundheitsämter vor Corona „kaputtgespart“ wurden? Grundsätzlich lag der finanzielle Fokus vor Corona ja sicher nicht auf dem Gesundheitsbereich. Aber wenn ich darüber nachdenke, dass wir unser Personal von ungefähr 100 Mitarbeitern Anfang 2020 auf derzeit über 400 aufgestockt haben, dann ist das Gesundheitsamt Nürnberg eine schlagkräftige Institution. Und das wird auch bei sinkenden Infektionszahlen definitiv so bleiben. Hier geht es vor allem um Kontaktnachverfolgung. Die größere Herausforderung besteht darin, dass Entscheidungen – auch manchmal trotz fehlenden Wissens – schnell erfolgen müssen, aber das ist derzeit in allen Kommunen der Fall.
Das Tübinger Konzept der Massentests auf dem Marktplatz führte zu niedrigen Inzidenzen. Ist das eine Blaupause für andere Kommunen? Grundsätzlich sind Tests immer sinnvoll. Trotzdem kann man Tübinger Verhältnisse nicht 1:1 auf Nürnberg übertragen. Wir haben bei uns viel mehr Alten- und Pflegeheime. Und Nürnberg ist sechsmal größer. Das kann man nur bedingt vergleichen. Wir schauen uns im Team aber schon genau an, was andere Städte machen und was wir davon lernen können.
„Da wünsche ich mir definitiv mehr Kontinuität und längerfristige Planung.'“
Dein größter Wunsch an die Politik? Eindeutig längerfristige Entscheidungen. Wir setzen Verordnungen der Landesebene lokal um, kommunizieren dies unseren Bürgern sowie der Presse, die uns oft im Stundentakt kontaktiert. Und dann ist das Regelwerk, das ja immerhin tief in den Alltag der Bürger eingreift, zwei Tage später schon wieder „Schnee von gestern“. Da wünsche ich mir definitiv mehr Kontinuität und längerfristige Planung.
Dein Fazit und Ausblick für 2021? Corona wird erst einmal bleiben, Klima und Umwelt sind jedoch ebenso wichtige Themen. Ich werde als Umweltreferentin die Klimapolitik in Nürnberg institutionell neu aufstellen. Das bedeutet die Einsetzung eines wissenschaftlichen Nachhaltigkeitsbeirates, der die Stadt umfassend in Sachen Klimapolitik berät. Des Weiteren die Finanzierung des bereits im Kommunalwahlprogramm definierten Klimafonds, d. h. woher kommt das Geld und wie wird es ausgegeben. Ganz entscheidend ist GRÜN statt GRAU: Grünflächen und Biodiversität statt dem Betongrau versiegelter Flächen und Straßen. Das wird in einer wachsenden – also offensichtlich attraktiven – Stadt wie Nürnberg nicht einfach, aber dafür kämpfe ich.
Britta, gleich beginnt die Konferenz mit der Landesregierung. Vielen Dank für dieses Interview. Wir wünschen dir weiterhin viel Erfolg!
Das Interview mit Britta Walthelm führten Thomas Vartiainen und Jörg Lipp
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